Ich danke dir, dafür, dass ich wunderbar gemacht bin. Wunderbar sind deine Werke, das erkennet meine Seele!
Psalm 139,14
Das ist ein Satz, der uns auf wunderbare Weise Rückenwind gibt. Wann haben Sie das letzte Mal empfunden und gedacht dass Sie wunderbar gemacht sind? Wann haben sie das letzte Mal dafür gedankt? Es ist befreiend, sich als wunderbares Werk Gottes zu begreifen.
Wir sind ein Teil seiner Wunder. Und wir werden beschenkt, wenn wir auch einander als wunderbare Geschöpfe begreifen. In diesem Schöpfungsgedanken Gottes hat Rassismus keinen Raum. Wir sind Schwestern und Brüder.
`Black lives matter` wäre dann ein ganz selbstverständlicher Satz.
Leider gibt es da auch andere Erfahrungen, nicht nur in den USA. Auch in unserem Alltag spielt Rassismus eine Rolle. Die Tochter meiner Freundin - ihr Vater ist Maasai - erlebt dies immer wieder. Bei jeder Bahnfahrt wird sie mindestens einmal von einer oder einem Mitreisenden aufgefordert, doch ihre Sitzplatzreservierung vorzuzeigen, weil derjenige meint, sie sitzt am falschen Platz. Die Leute können dabei sehr unhöflich werden. Das macht Bahnfahren anstrengend. Gehen viele Menschen automatisch davon aus, dass Menschen anderer Hautfarbe ihre Sitzplatzreservierung nicht richtig lesen können? Es ist eine Erfahrung, die auch Sie schon einmal gemacht haben werden, aber doch nicht bei jeder Bahnfahrt.
Im Supermarkt wird auch öfter ihr Einkauf kontrolliert, ob auch alles rechtmäßig bezahlt wurde. "Komisch, ich bin noch nie kontrolliert worden", kommt mir da in den Sinn. Und wenn die Tochter der Freundin in die Straßenbahn steigt, greifen viele Menschen die Taschen etwas fester. Kommentare und Pöbeleien sind immer wieder zu hören.
Rassismus ist Alltag, auch in Deutschland.
Rassismus entsteht, wenn Menschen sich bedroht fühlen, wenn sie das Gefühl haben, betonen zu müssen, dass sie besser sind als die anderen. Rassismus entsteht wenn das Gefühl für den eigenen Wert nicht stabil ist. Wenn ich nicht erkenne, wie ich wunderbar gemacht bin, brauche ich die künstliche Bestätigung von außen, indem ich andere - still in Gedanken oder laut und offen - herabsetze. Wenn ich mich als wunderbares Geschöpf Gottes begreife, dann fühle mich nicht bedroht durch den anderen, der anders ist. Ich muss nicht meine Vorurteile bestätigen. Ich kann teilen und Gemeinschaft erleben.
"Ist doch nicht so schlimm" , "ist doch nicht böse gemeint" wird oft gesagt in Diskussionen z.B. um den leckeren Mohrenkopf, den Negerkuss. Oder Wenn es um ein entsprechendes Karnevalskostüm geht. "Wie können sich da andere bloß angegriffen fühlen?"
Wenn wir unseren Monatsspruch ernst nehmen, müssen wir auch die Erfahrungen anderer ernst nehmen und nach diesen Erfahrungen fragen. Gerade weil ich nicht weiß, wie es sich für andere anfühlt. Ich muss hören, fragen und die Erfahrungen der anderen stehen lassen.
Und da ist noch das Schubladen-Denken, unbemerkt, oft sogar nett gemeint: Alle Afrikaner können gut singen und tanzen. Asiaten sind immer höflich. Leider kommen wir ohne solche Stereotypen nicht aus. Wir brauchen Schubladen, um Ordnung zu schaffen, auch in unseren Gedanken. Deshalb ist wohl keiner ganz frei davon.
Sich von Schubladen - Denken zu lösen, geht wohl nur, wenn wir wissen, dass die Schubladen da sind und wir offen bleiben für andere Erfahrungen. So war ich vor kurzem bei meiner Schwester in Süddeutschland zu Besuch. Wir saßen auf der Terrasse im Garten. Da kam ein befreundetes Paar vorbei. Die beiden machten eine Radtour und genossen die kleine Pause, das frische kühle Apfelschorle. Die Freundin brachte meiner Schwester auch ein Glas selbstgemachtes "Gsälz" mit. "Hier, für dich! Habe ich gestern frisch gemacht!" (Für alle Nicht- Schwaben: Gsälz ist Marmelade). Sie erzählten von der Radtour und von den Kindern. Da wurde ich stutzig. Hab ich mich verhört oder heißen die Jungs tatsächlich Erhan und Tufan? Ich war echt verwirrt. Doch da dämmerte es mir: Ich hatte eine waschechte türkische Schwäbin vor mir! Oder eine schwäbische Türkin? Egal. Ich schickte in Gedanken einen Gruß an Cem Özdemir und sagte: `Danke für dein Beispiel! ´
Wir sind alle wunderbar gemacht. So sagt es der Psalm. Er schließt mit den Worten: "Prüfe mich und erkenne meine Gedanken. Schau doch, ob ich auf einem falschen Weg bin und führe mich auf dem Weg der Zukunft hat"! Das ist sein Fazit: Wenn ich weiß, dass ich wunderbar gemacht bin, dann habe ich keine Angst davor, mein Schubladendenken zu korrigieren. Ich kann meine Schubladen hinterfragen.
Es geht dabei nicht um den erhobenen Zeigefinger. Dann wären schon wieder einige die Besseren und andere die Schlechteren. Es geht um Wachsamkeit und Wertschätzung, die ich anderen gegenüber haben kann. Denn ich bin dankbar und begreife mich und die anderen als Gottes wunderbarer Geschöpfe.
Aus dieser Perspektive habe ich keine Angst, mein Denken, Fühlen und Handeln kritisch zu hinterfragen und mich von Gott hinterfragen zu lassen. Ja, ich freue mich, dass ich Neues lernen kann, meine Denkmuster erkennen und mich dem anderen leichter, unbehinderter zuwenden kann - und bessere Wege für die Zukunft suchen.
Black life matters.
Ich danke Karen und Natale Mareike Wilson für alle Gespräche zu diesem Thema und die Gedankenanstöße in dieser Andacht.
Ihre
Ute Brodd-Laengner